
„Die Kinder- und Jugendhilfe ist für alle zuständig, aber nicht für alle gesellschaftlichen Krisen“, so lautet einer der Leitsätze des 17. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung, der auf ca. 500 Seiten die Situation junger Menschen in Deutschland ausführlich beleuchtet und im September 2024 veröffentlicht wurde.
Der Kinder- und Jugendbericht ist keine Studie, sondern eine Meta-Sammlung von vorhandenem Wissen. Es wurde durch die Sachverständigenkommission darüber hinaus an einigen Stellen auch eigene Expertise in Auftrag gegeben und Kinder und Jugendliche wurden selbst beteiligt. Insgesamt 5400 junge Menschen hatten die Möglichkeit, sich in Form von quantitativen Untersuchungen, Workshops und Hearings einzubringen.
Bei einem Fachgespräch am 29. Januar wollte der KJR wissen: Was sind die zentralen Erkenntnisse des Berichts? Und: Welcher Gestaltungs- und Handlungsauftrag ergibt sich daraus für Wissenschaft und Praxis?
Nach einer Begrüßung durch KJR-Vorsitzende Judith Greil stellte Prof. Dr. Jörg Fischer – Leiter des Instituts für kommunale Planung und Entwicklung an der FH Erfurt, Mitglied der Sachverständigenkommission des 17. Kinder- und Jugendberichts sowie Berater der Bundesregierung und verschiedener Ministerien – in einem kurzweiligen Vortrag die Ergebnisse vor.
Die Sachverständigenkommission bestehend aus 14 Personen hatte dreieinhalb Jahre am Bericht gearbeitet. Der Auftrag lautete, sich mit einer diverser werdenden Jugend zu beschäftigen.
Die Kernbotschaften waren unter anderem:
Die 22 Mio. jungen Menschen, die in Deutschland leben, bilden die vielfältigste Generation, die es je gab. Konfrontiert sind sie mit komplexen Herausforderungen – u.a. Krisen, Krieg, Falschinformationen, Misstrauen– dies löst Sorgen und Ängste aus. Aber auch Antworten, die für Erwachsene teilweise frappierend seien können. Die Erfahrungen der Pandemie und wie unbedeutend junge Menschen in dieser Zeit für Entscheidungen waren, sitzen tief und die Folgen wirken sich bis heute aus.
Gleichzeitig ist festzustellen: Kinder und Jugendliche sind zufrieden und optimistisch, wobei das Zukunftsvertrauen insgesamt gesunken ist. Junge Menschen wünschen sich Vertrauen in Personen und Institutionen, Zuversicht, Optimismus, echte Beteiligungsmöglichkeiten.
Themen, die junge Menschen beschäftigen, sind außerdem Familie, Freundschaft, Bildung, psychische Gesundheit, Diskriminierung (v.a. aufgrund der geschlechtlichen Identität), Flucht,
Migration und Krisen. Bei einigen Themen wünschte sich der Referent eine bessere Studienlage, zum Beispiel zu den Auswirkungen der Digitalisierung, Wohnsituation junger Menschen und Armut. Hier bräuchte es empirische Untersuchungen.
Der Bericht beschäftigte sich nicht nur mit der Situation junger Menschen, sondern auch mit jener der Kinder- und Jugendhilfe. Hier ist nach wie vor der Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendhilfe spürbar, was komplexe Ursachen hat: die Demographie, zu wenige Ausbildungsmöglichkeiten, aber auch die Attraktivität der Arbeitsplätze, um Fachkräfte zu halten. Prof. Fischer empfahl, dass die Kinder- und Jugendhilfe konkrete Botschaften senden solle. Bedarfe müssten klar formuliert und adressiert werden.
Während die soziale Ungleichheit stagniert, steigt die Kinder- und Jugendarmut in Deutschland an.
Einen spannenden Impuls für weiterführende Diskussionen setzte Prof. Fischer mit der Frage, ob die Kinder- und Jugendhilfe durch ihre Angebote diese steigende Ungleichheit reproduziert.
Was macht die Kinder- und Jugendhilfe vertrauenswürdig?
Kinder- und Jugendhilfe muss gesellschaftliche Probleme verstehen, aber nicht die Lösung dieser Probleme herbeiführen. Sie muss für ein gewaltfreies Aufwachsen einstehen – hier zeigt sich bereits eine umfassende empirische Wirkung auf Eltern. Sie muss sich einsetzen für Partizipation, junges Engagement und für verlässliche Infrastruktur. Sie muss attraktive Arbeitgeberin sein und dafür vielfältige Wege gehen. Und sie muss wissenschaftsbasiert handeln, demokratiefördernde Interessensvertretung sein und an Klimagerechtigkeit mitwirken.
Der Referent stellte auch klar: Kinder- und Jugendhilfe kann und muss nicht politisch neutral sein! Das Eintreten für die Demokratie sei immer parteilich, zum Beispiel in Hinblick auf bestimmte Werte, die vertreten und vermittelt werden.
In einer anschließenden Podiumsdiskussion wurden die vorgestellten Erkenntnisse mit Erfahrungen aus der Praxis abgeglichen. Svenja Gutzeit (KJR-Vorstandsmitglied und Gemeinde-Jugendreferentin, Planegg), Laura Pulz (Fachstelle Demokratische Jugendbildung, KJR) und Michael Jaschkowitz (Leitung Offene und schulbezogene Kinder- und Jugendarbeit, FEZI – Kinder- und Jugendtreff am Wettersteinplatz, KJR) bestätigten die zentralen Erkenntnisse im Abgleich mit ihrer Arbeit. Aspekte der Diskussion waren weiterhin das Schaffen von Vertrauen; vielfältige Anforderungen an die Fachkräfte in der Praxis; politische Bildung in der Jugendarbeit und an Schule; echte und gelebte Partizipation; eigene konzeptionelle Ideen von OKJA ohne Schule; zeitgemäße Konzepte und wie OKJA sich politisches Gehör verschaffen kann.
Zum Abschluss der Podiumsdiskussion war angesichts der allgemeinen krisenbehafteten Lage noch Platz für Hoffnung, ganz nach dem Motto des Jugendberichts: „Was lässt uns
optimistisch in die Zukunft blicken?“
Anne Rathjens, Grundsatzreferentin, KJR
17. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, abrufbar unter www.kjr-url.de/k3-kjb1 [letzter Abruf am 26.02.2025.]
Zusammenfassung des 17. Kinder- und Jugendberichts in jugendgerechter Sprache und von einer Jugendredaktion verfasst, abrufbar unter www.kjr-url.de/k3-kjb2 [letzter Abruf am 26.02.2025.]