Fachgespräch: Männlichkeit im Migrationskontext

Die öffentliche Debatte über Migration fokussiert oft männliche Migranten* und stellt sie als potenzielle Problemverursacher* dar. Dabei werden ihre vielfältigen Lebensrealitäten häufig ignoriert.

Die Konstruktion von Männlichkeit im Migrationskontext und die Auswirkungen von Fremdzuschreibungen auf das Selbstverständnis junger Männer* ist auch in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ein drängendes Thema. Die KJR-Fachstellen für Interkulturelle Arbeit, Jungen*, junge Männer* und Mädchen*, junge Frauen* und LGBTIQA* haben jetzt die Thematik aufgegriffen und am 28. März zum Fachgespräch ins Jugendinformationszentrum (JIZ) eingeladen. Die gut besuchte Veranstaltung zeigte, wie wichtig eine Auseinandersetzung mit der komplexen Thematik ist.

Den Auftakt machte ein Vortrag von Dr. Paul Scheibelhofer. Der Soziologe forscht an der Universität Innsbruck zu Männlichkeit. Er beschreibt die Konstruktion von Männlichkeit im Migrationskontext als fremd-gemachte Männlichkeit. Dabei wird das Fremde häufig als das gefährliche Andere beschrieben. Dies könne man laut Scheibelhofer zuletzt wieder in der journalistischen Berichterstattung beobachten, wenn über migrantisierte Täter* anders berichtet wird als über weiße (1) deutsche Täter*. Diese seit der Kolonialzeit bestehenden Bilder prägen auch das institutionelle Handeln. Jede*r müsse, so der Soziologe, reflektieren, wie das eigene Handeln von diesen stereotypen Bildern geprägt sei. Die Ergebnisse der Männlichkeitsforschung leisten in diesem Zusammenhang einen wichtigen Beitrag, die Situation von – insbesondere jungen – migrantisierten Männern* differenzierter zu betrachten und besser zu verstehen. Ein zentrales Konzept, das Scheibelhofer in seinem Vortrag anführt, ist das der hegemonialen Männlichkeit. Ursprünglich von der australischen Soziologin und Männlichkeitsforscherin Raewyn Connell entwickelt, beschreibt es, wie innerhalb einer Gesellschaft bestimmte Männlichkeitsvorstellungen als dominant und normgebend gelten, während andere als weniger wert oder untergeordnet wahrgenommen werden. In Bezug auf migrantisierte Männer* würden diese gesellschaftlich gemachten Idealbilder, so Scheibelhofer, dazu verwendet, Männer*, die der hegemonialen Norm nicht entsprächen, abzuwerten. Dies könne dann in der Reaktion dazu führen, dass junge migrantisierte Männer* versuchen würden, sich durch hyper-maskulines Verhalten – wie etwa durch misogynes oder gewalttätiges Auftreten – Anerkennung und soziale Bestätigung zu verschaffen. Diese Reaktionen entstehen als Folge von Diskriminierung und negativen Zuschreibungen, mit denen sie sich täglich auseinandersetzen müssen.

Scheibelhofer schloss seinen Vortrag mit Empfehlungen an die Jugendarbeit. Deren Aufgabe sei es, Männlichkeitsentwürfen intersektional zu begegnen und den Blick statt auf die Essenz (Religion, Kultur) auf den Kontext zu richten. Es brauche Erfahrungsräume, in denen alternative Männlichkeitsentwürfe gestärkt werden, aber auch Diskriminierungserfahrungen eine Sprache
gegeben werde. Um gegen die Dominanz der hegemonialen Männlichkeit anzukämpfen, müsse die Jugendarbeit Räume schaffen, in denen junge Männer* neue, selbstbestimmte Männlichkeitsbilder entwickeln können.

In der anschließenden Diskussion wurden die Herausforderungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit thematisiert und Erfahrungen aus der Praxis geteilt. Es diskutierten Waseem, Künstler, Aktivist und Jugendarbeiter, zwei Ehrenamtliche aus dem Programm PEERS, das Jungen* und junge Männer* mit zugeschriebenem Migrationshintergrund zu Multiplikatoren* ausbildet, sowie Züleyha Yilmaz, die den Jugendtreff Neuaubing leitet.
Auch in der Diskussion zeigte sich, wie sehr migrantisierte Jugendliche mit negativen Zuschreibungen und Diskriminierung konfrontiert sind, wie sich dies auf das Verhalten auswirkt und wie schwierig es ist, sich davon zu befreien.

Besonders hervorgehoben wurde auch die Rolle von sozialen Medien, in denen Jugendliche mit einer Vielzahl von Geschlechterbildern konfrontiert sind. Medien prägen Vorstellungen von Männlichkeit maßgeblich mit und tragen dazu bei, normative Erwartungen daran zu vermitteln, wie „Männer*“ zu sein haben. Die Diskutierenden waren sich einig, dass es sichere Räume,
Gespräche auf Augenhöhe und langfristige Angebote brauche. Allerdings sei die der zeitige angespannte Haushaltslage auch in diesem Bereich spürbar, berichteten Waseem und die Kollegen* von PEERS, zum Beispiel würden Stellen und Projektmittel gekürzt.

Zahlreiche Wortmeldungen aus dem Publikum verdeutlichten das große Interesse und den Wunsch nach einer Weiterführung der fachlichen Auseinandersetzung. Der KJR wird
die gewonnenen Impulse und Perspektiven aufgreifen und das Thema an verschiedenen Stellen weiter vertiefen.

Bernhard Rutzmoser, Beauftragter für Jungen*, junge Männer* und LGBTIQA*, KJR 

Zum Weiterlesen
Scheibelhofer, Paul Dr.: Der fremd-gemachte Mann. Zur Konstruktion von Männlichkeiten im Migrationskontext.
Theunert, Markus; Luterbach, Mathias: Mann sein…?! Geschlechterreflektiert mit Jungen, Männern und Vätern arbeiten.

www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/migration-und-maennlichkeit