Teo Voulgarides*

Im Rahmen von „Kein Schlussstrich“, einem bundesweiten Theaterprojekt zum NSU-Komplex, hat Athanassios „Sakis“ Charamis, stellvertretender Leiter des MKJZ Westend, am 7. November in der Trappentreustraße 4 seine „Gedanken an Teo“ vorgetragen. Am 15. Juni 2005 ist sein Freund dort vom NSU ermordet worden.

Σ’ αυτήν την γειτονειά….

In diesem Viertel… heißt das Lied von Mikis Theodorakis.

In diesem Viertel habe ich Theodoros Voulgarides, den Teo, kennengelernt.

In diesem Viertel sind wir zusammen aufgewachsen.

In diesem Viertel haben wir unsere Jugend verbracht.

In diesem Viertel haben wir von einer coolen Zukunft geträumt.

Unsere Eltern sind in den 60er Jahren von Griechenland nach Deutschland als Gastarbeiter zugewandert, um eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder zu finden. Wir sind praktisch die zweite Generation hier und unsere Kinder die dritte Generation.

In diesem Viertel – Σ’αυτήν την γειτονειά – haben wir unsere Freizeit verbracht. Im „Freizeitheim“, jetziges Multikulturelles Jugendzentrum, haben wir draußen oft beim Sportplatz Fußball gespielt, haben drinnen Kicker oder Tischtennis gespielt, haben oft zusammen gefeiert bei Disco-Abenden oder größeren Veranstaltungen. Hier haben wir alle gemeinsam – ob Griechen, Deutsche, Italiener, Türken, Jugoslawen oder Portugiesen – friedlich und fröhlich zusammengelebt. Das Freizeitheim war praktisch unser zweites Zuhause und alle Besucher*innen unsere zweite Familie.

Im Verein der Griechen aus Pontos haben wir griechische Tänze getanzt. Jeden Sontag hatten wir im Freizeitheim Tanzproben. Da habe ich auch Teos Familie kennengelernt, ich wurde von seinem Cousin in Griechenland eingeladen und habe in seinem Dorf einige Tage verbracht, das war vor ca. 30 Jahren.

Obwohl einige Zeit vergangen ist – 1985 bis 1990, in diesen Zeitraum habe ich in Griechenland studiert – siehe da, in diesem Viertel – Σ’ αυτήν την γειτονειά – treffen wir uns wieder. Mittlerweile sind wir ein bisschen älter geworden, trotzdem, in diesem Viertel – Σ’ αυτήν την γειτονειά – geht das Leben weiter. Wir treffen uns jetzt im Café an der Bergmann- Ecke Tulbeckstraße, jetzt spielen wir nicht Fußball, sondern Karten, trinken unser Bier und reden über die Vergangenheit, wie schön die Zeit damals war! Teo wird Vater und kümmert sich liebevoll um seine Familie.

Wie es das Leben so will, fange ich ab 1. Januar 1992 an, im Freizeitheim zu arbeiten! Teo kam ab und zu auf ein Kaffee vorbei. Als er nach einiger Zeit selbständig wurde und in diesem Viertel – Σ’ αυτήν την γειτονειά – einen Schlüsseldienst eröffnete, gaben wir (unser Team) ihm seinen ersten großen Auftrag, er sollte unsere Schließanlage machen. Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen, als er mit 30 Zylindern und 180 Schlüsseln, jeder Zylinder und jeder sechste Schlüssel mit verschiedenen Nummern, bei uns auftauchte. Ich wurde bei dem Anblick schon verrückt. „Mach dir keine Sorgen Saki, das kriegen wir schon hin“, war seine Reaktion – ich völlig in Panik und er sehr gelassen. Von da an war er jeden dritten Tag in der Einrichtung, um mir bei meinen Problemen mit der Anlage behilflich zu sein.

Eines sonnigen Tages im Juni 2005 spielten ich und mehrere Kinder draußen auf unserem Sportplatz Fußball, auf einmal flogen über uns um die 10 Hubschrauber, da sah ich, wie die Kinder den Hubschraubern winkten. Dieses Bild werde ich nie vergessen, weil ich mich gewundert habe, warum so viele Hubschrauber auf einmal über uns flogen. Später kam eine Jugendliche und sagte, sie habe gehört, dass jemand ermordet worden sei, der mit Schlüsseln zu tun hatte oder so, sie war sich aber nicht sicher. Mein Gedanke war sofort bei Teo, aber den habe ich schnell verdrängt. Als ich nach 21 Uhr von der Arbeit nach Hause ging, habe ich von Weitem gesehen, wie sich die Leute in „unserem“ Café verhielten. Da kam der erste Schock (mein Gedanke an Teo), und der zweite Schock kam, als ich erfuhr, dass es tatsächlich Teo war, der umgebracht worden war. Danach kam eine Zeit, in der es keinem von uns gut ging, die Stimmung im Café war sehr angespannt, alle fragten sich „warum?“ – Warum ist Teo tot? Er hat doch keiner Seele etwas angetan? Ich musste sogar eine zweistündige Befragung bei der Kripo durchstehen, weil ich einen Jugendbeamten von uns gefragt hatte, ob es was Neues über Teo gibt.

Teo war ein sehr fröhlicher Typ, wir hatten immer viel Spaß mit ihn, er war sehr lustig, freundlich und höflich, hatte nie Streit mit jemanden. Er war stets gut drauf. Er war sehr hilfsbereit, sehr fleißig und immer anständig.

Obwohl er nicht politisch aktiv und sonst nie auffällig war, mit niemandem „offene“ Rechnungen oder irgendwelche Konflikte hatte, ist er zur Zielscheibe des NSU geworden, vermutlich, weil er einen fremden Namen oder ein südländisches Aussehen hatte.

Σ’ αυτήν την γειτονειά – In diesem Viertel ist das passiert!

Τέο αιωνία σου η μνήμη!

 

* Der griechische Buchstabe β wird meist mit “B” transkribiert, manchmal auch mit “V”, da er wie V bzw. W ausgesprochen wird.