Rap ohne Label

Beim Fachtag „Sexismus im Rap“ am 23.Oktober 2019 diskutierten mitten im Kreativquartier Fachreferentinnen, Künstlerinnen und Künstler und das Publikum über den Zusammenhang von Rap und Geschlecht.

Rap-Musik wird nicht nur in der Jugendkultur gehört und gefeiert, sondern ist mittlerweile auch im Mainstream angekommen. Häufig wird dem Genre vorgeworfen, diskriminierend zu sein. Und ja: Oft finden sich in den Texten und Videos Sexismus, Homophobie und frauenfeindliche Aussagen. Eine Tatsache, die insbesondere pädagogische Fachkräfte in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit immer wieder vor eine Herausforderung im Umgang damit stellt. Rap aber nur auf diskriminierende Aspekte zu reduzieren, wäre zu einfach. Das Phänomen erfordert vielmehr eine kritische Auseinandersetzung und einen differenzierten Blick auf die Rap-Szene.

Rap kann auch anders

Um dieser Auseinandersetzung eine Plattform zu schaffen, konzipierten Bettina von Hoyningen-Huene (Fachstelle Mädchen*/LGBTIQ) und Bernhard Rutzmoser (Fachstelle Jungen*/LGBTIQ) einen Fachtag zum Thema „Sexismus im Rap“. Rund 100 Interessierte folgten der Einladung ins Pathos-Theater mit kontroversen Aussagen umgehen? Zur Annäherung an die Antworten waren zwei Fachreferentinnen eingeladen. Heidi Süß promoviert aktuell an der Universität Hildesheim zum Thema Machtverhältnisse im Rap und setzt sich intensiv mit Entwürfen von Männlichkeit und Weiblichkeit im Rap auseinander.

In ihrem Vortrag spannte sie einen historischen Bogen von den Ursprüngen des Rap in der afro-amerikanischen Kultur hin zu seinen Spielformen in Deutschland und zeichnete damit den Weg einer männlich dominierten Kulturpraxis nach. Besonders das kommerziell erfolgreiche Genre des Gangsta-Rap wird nach wie vor hauptsächlich von Männern regiert. Heidi Süß beobachtete aber auch, dass sich dieser Tage gesellschaftliche Liberalisierungstendenzen in der Rap-Szene niederschlagen. Sowohl thematisch als auch visuell stehen hypermaskuline Performances nicht mehr unbedingt im Vordergrund. Bilder und Texte sind diverser geworden. Neue Bewegungen und Ausdifferenzierungen wie Queer Rap oder Afro Trap entwerfen alternative Identifikationsfiguren und brechen mit konservativen Rollenmustern.

Auch die zweite Referentin, Anna Groß vom Berliner Label Springstoff, verwies auf die Komplexität der Szene und zeigte, dass deutscher Rap mehr ist als große Jungs, dicke Autos und nackte Frauen. Da ist zum Beispiel Edgar Wasser, der in seinem Song „Bad Boy“ mit drastischen Worten darstellt, wie schwer es ist, sich als weiblicher MC in der Szene zu behaupten. Und da ist eine Künstlerin wie Ebow, ursprünglich aus München, die mittlerweile zu einer der politischsten Rapperinnen Deutschlands zählt und in ihren Texten der Gesellschaft den Spiegel vorhält: „Ihr hasst mich so richtig, denn diese Kanakin hier macht sich zu wichtig, ist zu gebildet, sieht zu gut aus, zersprengt eure Kästen muslimischer Frauen.“

Weg mit den Etiketten

Zu der anschließenden Fishbowl-Diskussion mit den beiden Referentinnen und dem Publikum gesellten sich noch zwei weitere Experten: David P. von der Münchner HipHop-Formation Main Concept und die Musikjournalistin Ana Ryue, die u.a. für die Battle-Rap-Plattform „Don‘t Let The Label Label You“ arbeitet. In der lebhaften Diskussion wurde klar: Das Genre polarisiert und ist so vielseitig wie seine Protagonisten und Protagonistinnen. Eine wichtige Erkenntnis nahmen aber alle Teilnehmenden von diesem Fachtag mit: Die Szene hat einiges mehr zu bieten, als vielleicht bisher angenommen.Gerade deshalb ist das Thema prädestiniert, um – z.B. anhand von Texten oder Videos – mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen über Werte, Geschlechterrollen und Klischees ins Gespräch zu gehen. Mit einem Spontanauftritt des Münchner Spoken-Word-Artists Waseem Radwan endete der Fachtag. Und seine improvisierte Line „Peace, love und unity – auch im HipHop“ blieb einem auf dem Heimweg im Ohr.

Bernhard Rutzmoser,
Fachstelle Jungen*/LGBTIQ, KJR