Eine Generation meldet sich zu Wort

Seit 1953 sind die Shell- Jugendstudien ein Seis­mograph für Hoffnungen, Wünsche, Ängste und Befürchtungen der jungen Generationen in Deutsch­land. Wie sieht sie aus, die Jugend 2019? Am 13. Oktober wurde die 18. Shell-Jugendstudie beim Online-Fachtag des KJR vorgestellt.

Eigentlich sollte im März darüber berich­tet werden, dass die Jugend sich wieder zu Wort meldet, dass sie einsteht für Themen, die ihr wichtig sind, dass sie lauter ist als noch vor ein paar Jahren. Doch dann kam das Corona-Virus und mit ihm der Lockdown. Nicht nur der von Stadtjugendamt und KJR geplante Fachtag wurde abgesagt, es ging nicht mehr viel in der Jugendarbeit und die Generation, die sich zu Wort meldet (u.a. deutlich sichtbar jeden Freitag bei Fridays for Future) war ausgebremst. Sie erhielt kaum mehr Gelegenheit, sich öffentlich zu Wort zu melden und ihre Anliegen, Meinungen, Sorgen oder Ideen haben zunächst kaum mehr jemanden interessiert.

In einer irgendwie veränderten und doch auch wieder gleichen Situation wie im März wurde im Oktober der Fachtag nachgeholt, den Pandemievorgaben angepasst als Online-Ver­anstaltung. Während der Hauptreferent und die erwachsenen Spotlight-Gebenden wieder mit an Bord waren, war es gar nicht einfach, jugendliche Statements zu erhalten. „Nor­maler“ Unterricht nach den Sommerferien heißt nämlich, die Lücken des Lockdowns zu schließen und gleichzeitig den Lehrplan für das aktuelle Schuljahr so abzuarbeiten, als hätte es die vergangenen sechs Monate nicht gegeben, als wären die Schüler*innen in ein ganz normales Schuljahr gestartet. Da bleibt wenig Zeit, die Stimme zu erheben und sich mit Ergebnissen einer Studie zu befassen, die gefühlt aus einer ganz anderen, nicht mehr existenten Zeit kommt. Umso positiver, dass Mireia Herrer von der Stadt­schülerInnenvertretung eine Videobotschaft mit ihrer Bewertung der Ergebnisse für den Fachtag vorbereitet hatte, ebenso wie Anton Zenz, Leiter des Staatlichen Schulamtes, der genauso wenig live dabei sein konnte.
Die Jugendamtsleiterin Esther Maffei und die KJR-Vorsitzende Judith Greil gaben ihre Statements direkt ab und diskutierten mit dem Referenten und dem Publikum. Pragmatische Grundhaltung und „Fahrt auf Sicht“

Ingo Leven von Kantar Deutschland und Mitautor der Studie seit 2002 ordnete die Ergebnisse in die aktuelle Situation ein.
Die Befragung der gut 2500 Jugendlichen hatte ebenso wie die vertieften Interviews bereits Anfang 2019 stattgefunden, in einer Zeit, wo die Möglichkeit einer Pandemie mit ihren Folgen keine Rolle spielte. Gleichzeitig ma­chen die Ergebnisse trotzdem deutlich, was der jungen Generation grundsätzlich wichtig ist und wie sie sich über die letzten 15 bis 20 Jahre entwickelt hat. Die Grundhaltung ist weiterhin eine pragmatische: bei „Entweder oder“-Fragestellungen erhält man von ihnen eine „Sowohl als auch“-Antwort. Nach wie vor ist die soziale Herkunft der jungen Men­schen entscheidend für Grundhaltungen. Die meisten erleben ihr Leben als eine Fahrt auf Sicht, das Planen in langen Zeithorizonten ist ihnen zumeist fremd. Die Werteorientierung bleibt stabil, ebenso die Erwartungen an das (spätere) Berufsleben. Dabei steigt die Erwar­tung, dass sich berufliche Wünsche erfüllen, seit 2010 kontinuierlich an. Insgesamt über­wiegt der Optimismus die eigene Zukunft betreffend. Ängste haben sich deutlich verschoben, weg von persönlichen Ängsten hin zu gesellschaftsbezogenen wie Klimawan­del.
Das politische Interesse ist jedoch seit 2015 nicht angestiegen. Vielmehr stagniert die Politikverdrossenheit auf einem hohen Niveau. So stimmen rund 70 Prozent der Aussage (mehr oder weniger) zu „Ich glaube nicht, dass sich Politiker darum kümmern, was Leute wie ich denken“. Gleichzeitig mel­det sich ein großer Anteil junger Menschen zu Wort und fordert, dass ihre Themen ernst genommen und zukunftsgerecht behandelt werden.

Zum Schluss warf der Referent noch die Frage auf, wie es mit der Generation in der neuen Normalität weitergehen wird.
Da die junge Generation sehr vielfältig ist, werden vermutlich auch vielfältige Reaktionen zu sehen sein. Zentral ist sicher: aktuell ist nicht mal eine Fahrt auf Sicht möglich, was massive Verunsicherung bedeutet, wie es im eigenen Leben unmittelbar weitergehen wird. Je nach sozialer Herkunft werden Unterschiede in der Bewältigung deutlich sichtbar.

Dr. Manuela Sauer, Grundsatzreferentin, KJR